Brief des Prälaten (August 2015)

Bischof Echevarria lädt uns ein, Maria als Vorbild für unser ganzes Leben zu betrachten, insbesondere für unser Ehe- und Familienleben.

Ihr Lieben, Gott schütze Euch!

Mitten im Monat August erstrahlt das Hochfest der Himmelfahrt Mariens. Wir feiern die himmlische Glorie, die unsere Mutter aufgrund ihrer vollkommenen Entsprechung der Gnade Gottes erworben hat. Dieses Fest ist ein Bild der Seligkeit, die uns erwartet, wenn wir treu unsere christliche Berufung leben.

„Während aber die Kirche – erinnert das Zweite Vatikanum – in der seligsten Jungfrau schon zur Vollkommenheit gelangt ist, in der sie ohne Makel und Runzel ist (vgl. Eph 5,27), bemühen sich die Christgläubigen noch, die Sünde zu besiegen und in der Heiligkeit zu wachsen. Daher richten sie ihre Augen auf Maria, die der ganzen Gemeinschaft der Auserwählten als Urbild der Tugenden voranleuchtet.“1

Im gerade beginnenden Monat gibt es noch weitere marianische Feiertage, die uns mit Freude erfüllen. Morgen, am 2. August, ist der Gedenktag Unserer Lieben Frau von den Engeln. Am 5., dem Jahrestag der Weihe der Basilika Santa Maria Maggiore, denken wir an die Gottesmutterschaft Mariens. Und schließlich feiern wir am 22. das Fest der Krönung Mariens, der Königin und Herrin der Schöpfung. Am folgenden Tag, dem 23. August, ist der Jahrestag der Eingebung, die der hl. Josefmaria in seiner Seele vernahm: Adeámus cum fidúcia ad thronum glóriae, ut misericórdiam consequámur: Lasst uns voll Vertrauen zum Thron der Glorie gehen, zu Maria, um Erbarmen zu finden!

Diese Tage laden auch dazu ein, daran zu denken, dass Gott uns eine ewige Wohnstatt im Himmel bereitet hat, wo wir, wenn Seele und Leib verherrlicht sind, wohnen werden, nachdem wir treu den Weg gegangen sind, den Gott einem jeden zugewiesen hat. Dabei sind wir uns bewusst, dass es viele – unzählige – Weisen gibt, den Weg zu gehen, der zur Herrlichkeit des Himmels führt.

Den Großteil der Menschen ruft Gott, sich im Ehestand zu heiligen; anderen, ebenfalls vielen, wird die Gabe des Zölibats geschenkt, mit der sie der Kirche und den Menschen indivíso corde2, mit ungeteilten Herzen, dienen. In welchem Stand auch immer – sei es verheiratet, sei es ehelos –, immer handelt es sich um eine göttliche Berufung, einen Ruf, den der Herr an jedes Geschöpf richtet.

Schon seit den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts verkündete der hl. Josefmaria voller Überzeugung diese Wirklichkeit; es waren Zeiten, in denen die Berufung zur Heiligkeit fast ausschließlich auf die Priester und die Ordenleute bezogen wurde. Trotzdem bestand unser Vater in seiner Verkündigung und in der geistlichen Leitung junger Leute darauf: Du lachst, weil ich dir sage, dass du „Berufung zur Ehe“ hast? – Du hast sie, jawohl, Berufung.3

Eine gute Erziehung der Kinder erfordert, dass man ihnen eine angemessene Vorbereitung auf die freie Wahl ihres Lebensstandes, ihres persönlichen Weges, der sie zu Gott führen soll, vermittelt. Dies ist eine weitere Aufgabe, die in besonderer Weise den Eltern zufällt. Die Kirche hat immer darauf bestanden, dass Vater und Mutter diese Erziehungsverpflichtung nicht auf andere Personen abwälzen können. Schon Pius XI. verurteilte die Übel „des Naturalismus, der (…) sich im Bereich der Erziehung breit macht, wo es um eine so verletzliche Materie geht, wie es die Moral und die Keuschheit sind“4. Und der heilige Johannes Paul II. bekräftigt in seinem apostolischen Schreiben Familiaris consortio, dass „die Erziehung zur Liebe als Hingabe seiner selbst auch die unerlässliche Voraussetzung für die Eltern ist (…). Angesichts einer Kultur, die in weiten Kreisen die menschliche Geschlechtlichkeit ‚banalisiert’, weil sie diese in verkürzter und verarmter Weise interpretiert und lebt, indem sie sie einzig mit dem Leib und dem egoistisch verstandenen Vergnügen in Verbindung setzt“5, müssen sich alle Erzieher ernsthaft Gedanken über die Würde der Person machen, die nach dem Abbild Gottes und ihm ähnlich geschaffen wurde.

„In diesem Zusammenhang ist die Erziehung zur Keuschheit völlig unverzichtbar als einer Tugend, die die wahre Reifung der Person fördert und sie befähigt, die ‚bräutliche Bedeutung’ des Leibes zu achten und zu entfalten. Die christlichen Eltern werden sogar – sollten sie die Zeichen einer göttlichen Berufung erkennen – der Erziehung zur Jungfräulichkeit eine besondere Aufmerksamkeit und Sorge widmen und in ihr die höchste Form jener Selbsthingabe sehen, welche den Sinn der menschlichen Geschlechtlichkeit bildet.“6

Gewiss können sich die Eltern – und sollen es sogar in bestimmten Fällen – bei Experten Rat holen, aber die Initiative und die Verantwortung liegt stets bei ihnen selbst. Dabei dürfen sie keine Bedenken oder gar Angst haben, diese Themen anzuschneiden. Ich wende mich hier in besonderer Weise an die Gläubigen und die Mitarbeiter des Werkes, die zur Ehe berufen sind. Ihr werdet dank Eures übernatürlichen Sinnes und Eurer menschlichen Zuneigung, Eurer Nähe, die Unruhe spüren, die in Euren Kindern aufsteigt und dann, gestützt auf das Gebet, mit viel Feingefühl handeln.

Der hl. Josefmaria riet den Eltern zugleich ernst und liebevoll, selbst mit den Kindern in ein Gespräch über den Ursprung des Lebens zu kommen und dabei für sie verständliche Beispiele zu wählen. Es öffnet sich da auch für jene Ehepaare, denen Gott keinen Nachwuchs gewährt hat, eine Perspektive der Mitarbeit, um in Wort und Beispiel Zeugnis für die wunderbare Tugend der Keuschheit zu geben.

Ich erinnerte Euch daran, dass Gott den Großteil der Männer und Frauen zur Ehe beruft. Als Vorbereitung auf diesen Schritt spielt die Verlobungszeit eine wichtige Rolle. Der Katechismus der Katholischen Kirche bekräftigt, dass die Kinder die Pflicht und das Recht haben, ihren Beruf und Lebensstand zu wählen. Er fügt jedoch hinzu: „Sie sollen diese neuen Verantwortungen in vertrauensvoller Beziehung zu ihren Eltern wahrnehmen und deren Ansichten und Ratschläge gerne erfragen und entgegennehmen. Die Eltern mögen darauf bedacht sein, weder in der Berufswahl noch in der Partnerwahl auf ihre Kinder Zwang auszuüben. Diese Pflicht, sich zurückzuhalten, verbietet ihnen jedoch nicht, den Kindern durch kluge Ratschläge beizustehen, besonders dann, wenn diese vorhaben, eine Familie zu gründen.“7

Unser Gründer empfahl, die Verlobungszeit nicht ungebührlich lange auszudehnen, gerade genug, damit die beiden sich gegenseitig gut kennenlernen und sich Rechenschaft geben über das Vorhandensein einer echten Liebe, die später immer weiter wachsen soll. Währenddessen gilt es allerdings, Zucht und Maß zu üben, um den Forderungen des göttlichen Gesetzes nicht zuwider zu handeln.

Unglücklicherweise haben sich auch in diesem Bereich irrige Vorstellungen und Verhaltensweisen Bahn gebrochen, die mit dem Naturgesetz und dem positiven göttlichen Gesetz absolut unvereinbar sind. Papst Franziskus hat vor einigen Monaten in einer Audienz einige Punkte der traditionellen Lehre der Kirche dargelegt. Unter anderem sagt er: Der Liebesbund zwischen Mann und Frau, ein Bund für das Leben, lässt sich nicht improvisieren, nicht von einem Tag auf den anderen erreichen. Es gibt keine Express-Ehe: Man muss an der Liebe arbeiten, man muss auf dem Weg sein. Den Liebesbund zwischen Mann und Frau lernt und formt man.8 Und mit dem Blick auf die Realitäten fügt er hinzu: Wer darauf besteht, alles zu haben, und zwar sofort, der gibt dann bei der ersten Schwierigkeit (oder bei der ersten Gelegenheit) auch alles – sofort – auf.9

Wenn die Eltern aufmerksam die körperliche und geistige Entwicklung der Kinder verfolgen, können sie leicht feststellen, wann diese einen Ratschlag oder eine Orientierung in dieser Hinsicht brauchen. Gleichzeitig sollten sie aber auch den möglichen – wunderbaren – Ruf eines Kindes erkennen, sich in der apostolischen Ehelosigkeit dem Dienst an Gott und den Menschen zu widmen. Wenn die Eltern angesichts dieses Umstandes erschrecken und sich dieser Wahl übertrieben entgegenstellen, dann ist dies – zum mindesten – ein Anzeichen dafür, dass ihre Seele wenig vom Geist Jesu Christi aufgenommen hat, dass ihre Christlichkeit recht oberflächlich ist. Natürlich müssen sie die Angelegenheit in der Gegenwart Gottes bedenken und, sollten sie eine unnachgiebige Haltung an den Tag legen, diese ändern. Ich denke, dass nur die, die den Weg der Ehelosigkeit lieben, auch in ihrer ganzen Tiefe die Größe einer reinen Ehe verstehen werden.

Ich komme auf den Beginn dieser Zeilen zurück. Der hl. Josefmaria war, weil Gott es so wollte, ein entschiedener Verfechter des Rufes zur Heiligkeit in jedem Stand. Er sagte immer wieder, dass er die Liebe der Eheleute mit seinen beiden priesterlichen Händen segnete, da die Eheleute nicht nur die Spender, sondern zugleich auch die Materie des Ehesakramentes sind. (…) Und gleichzeitig wiederhole ich immer wieder, dass diejenigen, die ihrer Berufung entsprechend den Weg der apostolischen Ehelosigkeit einschlagen, keine Junggesellensind, unfähig, die Liebe zu begreifen und ihren Wert zu erkennen. Ihr Leben erklärt sich im Gegenteil ganz allein aus der Tatsache jener göttlichen LIEBE (mir gefällt es, dieses Wort mit ganz großen Buchstaben zu schreiben), die das eigentliche Wesen jeder christlichen Berufung ausmacht.

Es ist keineswegs miteinander unvereinbar, die eheliche Berufung hoch einzuschätzen und gleichzeitig den Vorrang der Berufung zur Ehelosigkeit propter regnum coelorum(Mt 19,12), um des Himmelreiches willen, zu bejahen. Ich bin davon überzeugt, dass jeder Christ die Vereinbarkeit beider Aspekte gut versteht, wenn er sich bemüht, sowohl die Lehre der Kirche als auch seine eigene, persönliche Berufung kennenzulernen, anzunehmen und zu lieben, mit anderen Worten: wenn er glaubt und aus dem Glauben lebt.

Ein Christ, der in der Ehe nach Heiligkeit strebt und sich der Größe seiner eigenen Berufung bewusst ist, wird gerade deshalb eine spontane Hochachtung für diejenigen empfinden, die zur apostolischen Ehelosigkeit berufen sind; und er freut sich aufrichtig, wenn einmal eines seiner Kinder in der Gnade Gottes diesen Weg gehen möchte. Das ist nur ein Grund mehr, um seine eigene Berufung zur Ehe noch tiefer zu lieben, denn sie hat es ihm ermöglicht, die Früchte seiner Liebe Christus zu schenken, der die große Liebe aller ist, der Verheirateten wie der Unverheirateten.10

Am 15. des Monats werden wir wie alle Jahre die Weihe des Opus Dei an das Liebenswerte Herz Mariens erneuern, die unser Vater zum ersten Mal 1951 in der Santa Casa von Loreto vollzogen hat. Ich möchte euch ermuntern, sehr oft das Stoßgebet zu sagen, das er uns damals ans Herz legte – Cor Maríae dulcíssimum, iter para tutum! – und dabei Maria auch zu bitten, dass sie allen einen sicheren Weg bereiten möge: jenen, die zur Ehe berufen sind, und jenen, die Christus auf dem Weg der apostolischen Ehelosigkeit folgen.

Vor wenigen Tagen hatte ich die Gelegenheit, nach Lourdes zu fahren und mich dabei mit der Vorstellungskraft an alle Wallfahrtsstätten unserer Mutter zu versetzen und Euch auf Euren Pilgerfahrten überall hin zu begleiten. Lasst nicht nach in dem Eifer, Euch mit meinem Gebet für den Papst, seine Anliegen und die anstehende Familiensynode zu verbinden. Vor einiger Zeit sagten mir Leute, die dem Werk ferne stehen: „Im Opus Dei wird Maria sehr geliebt.“ Da haben sie wohl Recht, und wir – jeder von uns – wollen uns bemühen, dass diese Liebe stetig wächst.

In Liebe segnet Euch

Euer Vater

+ Javier

Pamplona, 1. August 2015

1 Zweites Vatikanisches Konzil, Dogm. Konst. Lumen gentium, Nr. 65

2 Vgl. 1 Kor 7,32-34

3 Hl. Josefmaria, Der Weg, Nr. 27

Divini illius magistri, 31.12.1929, Nr. 49

5Hl. Johannes Paul II., Ap. Schreiben Familiaris consortio, 22.11.1981, Nr. 37

6 Ebd.

7 Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2230

8 Papst Franziskus, Ansprache bei der Generalaudienz, 27.5.2015

9 Ebd.

10 Hl. Josefmaria, Gespräche, Nr. 92