Rechtsgeschichte eines Charismas

Das Buch „Die Prälatur Opus Dei. Zur Rechtsgeschichte eines Charismas“ (deutsch 1994) zeichnet die Geschichte des Opus Dei als Institution ausführlich nach. Wir bringen die Besprechung eines bekannten Staatskirchenrechtlers.

Das Buch „Die Prälatur Opus Dei. Zur Rechtsgeschichte eines Charismas“ (deutsch 1994) (1) zeichnet die Geschichte des Opus Dei als Institution ausführlich nach. Joseph Listl SJ, der bekannte, inzwischen verstorbene Staatskirchenrechtler, hat dazu eine Besprechung veröffentlicht (2), die wir hier dokumentieren. I. Der kirchenrechtliche Weg des Opus Dei

Der vorliegende stattliche Band enthält in deutscher Übersetzung die von drei prominenten spanischen Mitgliedern des Opus Dei verfasste Darstellung der Geschichte des kirchenrechtlichen Weges des Opus Dei und seiner besonderen Spiritualität. Wie die Verfasser im Vorwort darlegen, geht es ihnen bei ihrem Werk, allgemein gesprochen, um die Frage, in welchem Verhältnis Charisma und Institution zueinander stehen. Oder, genauer gesagt, um die Beziehungen zwischen mehreren Faktoren: dem Geist, von dem eine Unternehmung geleitet wird; der Institution, die gebildet wird, um dem Geist zu dienen und für seine wirksame Verbreitung zu sorgen; dem pastoralen Phänomen, das daraus entsteht; und schließlich der Zuordnung einer kanonischen Rechtsfigur, die dem Vorgenannten durch die Einordnung in das Kirchenrecht soziale Relevanz verleihen soll (S. 3, Vorwort). Die Untersuchung bleibt keineswegs auf einer rein theoretischen Ebene stehen. Sie behandelt vielmehr eine konkret faßbare Realität: die Geschichte des kirchenrechtlichen Weges des Opus Dei. Soweit erforderlich, werden durchaus auch grundsätzlichere theologisch-spirituelle Überlegungen angestellt.

Die Arbeitsmethode ist in erster Linie rechtshistorisch, wenngleich gelegentlich über das Rechtshistorische hinausgehend. Die Quellen der Untersuchung bilden vor allem die Rechtstexte: Vorschriften, Konstitutionen, Statuten, aber auch andere Dokumente, die den geistlich-apostolischen Charakter des Opus Dei erhellen und entschlüsseln.

Die Darstellung untersucht im 1. Teil die Grundzüge des pastoralen Novums Opus Dei, im 2. Teil die ersten Approbationen des Opus Dei auf Diözesanebene, im 3. Teil die päpstlichen Approbationen von 1947 und 1950 mit der Anerkennung des Opus Dei als Säkularinstitut. Damit wurde dem Opus Dei eine überdiözesane und internationale Rechtspersönlichkeit zuerkannt. Diese Rechtsfigur entsprach jedoch nicht der Wirklichkeit dessen, was das Opus Dei nach den Vorstellungen und Intentionen seines Gründers ist. Der 4. Teil analysiert einige Grundzüge des Opus Dei als Personalprälatur in der pastoralen und hierarchischen Struktur der Kirche. Er befaßt sich mit der spezifischen Form der Zusammenarbeit von Priestern und Laien im Opus Dei, um christliches Leben inmitten der zeitlichen Dinge zu fördern, „indem jeder sich persönlich bemüht, genau jene gewöhnlichen Lebensumstände zu heiligen, aus denen sich sein Leben zusammensetzt” (S. 5, Vorwort). Die vier genannten Teile der Untersuchung sind transparent in zwölf Kapitel aufgeteilt.

 

II. Die einzelnen Phasen der Entstehungsgeschichte des Opus Dei

1. Das 1. Kapitel mit der Überschrift „In der Kraft des Gründungscharismas” (S. 11-36) befaßt sich mit der Gestalt des Opus Dei in der Anfangsphase und mit den Wesenszügen des Opus Dei. Die auf hoher Reflexionsstufe gebotene Darstellung der Wesenszüge des Opus Dei in zwölf Punkten (S. 27—36) darf besondere Aufmerksamkeit für sich in Anspruch nehmen, wiewohl die Verfasser betonen, daß es sich hierbei um keine „erschöpfende Beschreibung” handle.

2. Das zentrale 2. Kapitel, Die Eigenart des pastoralen und apostolischen Phänomens (S. 37—65), behandelt die besondere Spiritualität des Opus Dei und seine Einordnung in die hierarchische Kirche, näherhin vor allem die Spannung zwischen christlichem Glauben und den säkularen Wirklichkeiten, die persönliche Verantwortung zwischen Freiheit und Säkularität, den universalen Ruf zur Heiligkeit, die Berufung zum Christsein in der Welt, die Suche nach einer neuen Begrifflichkeit für das Opus Dei und schließlich das Problem der passenden Rechtsform.

3./4. Das 3. Kapitel, Die Approbation des Jahres 1941 durch den Bischof von Madrid-Alcalá (S. 69—100), und das vierte Kapitel, Die kanonische Errichtung der Priesterlichen Gesellschaft vom Heiligen Kreuz auf Diözesanebene im Jahre 1943 (S. 101—125), beschreiben im Detail wichtige Etappen des Opus Dei auf seinem kirchenrechtlichen Werdegang zur Personalprälatur.

5. Von entscheidender Bedeutung für den Erwerb der heutigen adäquaten Rechtsform einer überdiözesanen und internationalen Prälatur waren die beiden Approbationen durch den Heiligen Stuhl in den Jahren 1947 und 1950. Hierüber wird im 5. Kapitel, Das Opus Dei als Säkularinstitut (S. 129–178), eingehend berichtet. Die Grundlage für die Zuerkennung dieser Rechtsform bildete die Apostolische Konstitution Provida Mater Ecclesia über die kanonischen Stände und die Säkularinstitute zur Erlangung der christlichen Vollkommenheit vom 2. Februar 19473. Damit war das Opus Dei ein Säkularinstitut päpstlichen Rechts. Die Rechtsform des Säkularinstituts entsprach jedoch nicht in vollem Umfang den Zielvorstellungen des Opus Dei, insbesondere deshalb, weil darin die Aufgaben der verheirateten Laien innerhalb des Opus Dei nicht geregelt waren.

6. Der Gründer Josemaria Escrivá arbeitete zielstrebig an den „Vorbereitungen für eine weitere Approbation des Heiligen Stuhles”, wie die Überschrift des 6. Kapitels lautet (S. 179–218). Insbesondere betrachtete es das Opus Dei auch als seine Aufgabe, den Diözesanpriestern Hilfen auf ihrem Weg zur Heiligkeit zu bieten.

7. Das 7. Kapitel, Die päpstliche Approbation des Jahres 1950 (S. 219-290), zeigt, wie sich das Opus Dei durch die päpstliche Approbation vom 16. Juni 1950 von den Vorstellungen der Säkularinstitute entfernte. Die Kirche hatte darin endgültig anerkannt, daß das Opus Dei ein echter Weg zur Heiligkeit und zum Apostolat ist, den Priester und Laien, Frauen und Männer, Ledige und Verheiratete, gehen können. Es ist der Augenblick der endgültigen Anerkennung des christlichen und kirchlichen Wertes des Gründungscharismas des Opus Dei (S. 287). Die Kapitel 8–10 enthalten die Darstellung des Weges des Opus Dei zur „endgültigen rechtlichen Lösung”, d. h. zu seiner Errichtung als Personalprälatur.

8. Im 8. Kapitel, Auf verschlungenen Wegen (S. 293–358), schildern die Verfasser die Unzulänglichkeiten der Rechtsform eines Säkularinstituts für das Opus Dei. Danach waren die Laien und Priester des Opus Dei den Ordensleuten gleichzustellen (S. 328). Dies widersprach den Vorstellungen Escrivás. Am 25. Mai 1962 richtete Escrivá ein Gesuch an Papst Johannes XXIII. mit der Bitte um Umwandlung des Opus Dei in eine diözesanähnliche, aber weltweite Personalprälatur (S. 333).

9. In eine entscheidende Phase traten diese Bestrebungen durch die am 25. Juni 1969 erfolgte Einberufung des „Besonderen Generalkongresses” des Opus Dei. Er trat am 1. 9. 1969 zusammen. Über dessen Tätigkeit berichtet das 9. Kapitel, Der Besondere Generalkongreß (S. 359–412). Der Generalkongreß umschrieb das wesentliche Merkmal der Verfassung des Opus Dei folgendermaßen: Ihm gehören Priester ebenso wie Laien an, die keine unterschiedlichen Rangstufen bilden. Frauen und Männer, Priester und Laien, Verheiratete und Ledige, alle haben dieselbe und einzige Berufung. Sie bilden als Körperschaft in der Kirche eine gegliederte Einheit mit derselben Spiritualität, demselben Ziel, derselben Leitung und denselben Bildungsangeboten. Dieser Einheit soll die angestrebte Rechtsgestalt entsprechen (S. 399).

10. Das abschließende 10. Kapitel, Das Opus Dei als Personalprälatur (S. 413–506), schildert im Detail den Antrag auf Umwandlung des Opus Dei in eine Personalprälatur, den Alvaro del Portillo, der Nachfolger Escrivás, an Papst Johannes Paul II. gestellt hat. Am 28. November 1982 wurde nach langen Überlegungen und Beratungen der zuständigen römischen Kongregationen, der Kongregation für die Bischöfe und der Kongregation für die Ordensleute und Säkularinstitute, und nach Befragung des Weltepiskopats die Erhebung des Opus Dei zur Personalprälatur im Osservatore Romano durch die Mitteilung bekanntgegeben, der Heilige Vater habe gemäß Motu Proprio Ecclesiae Sanctae 1 Nr. 4 und der Apostolischen Konstitution Regimini Ecclesiae universae Nr. 49 § 1 die Priesterliche Gesellschaft vom Heiligen Kreuz und Opus Dei als Personalprälatur errichtet. Zum Prälaten der Prälatur vom Heiligen Kreuz und Opus Dei habe der Papst den bisherigen Generalpräsidenten des Opus Dei, Msgr. Alvaro del Portillo ernannt (S. 437). Die Ausfertigung der Apostolischen Konstitution Ut sit validum über die Errichtung des Opus Dei als Personalprälatur in feierlicher Form als päpstliche Bulle wurde dem Prälaten des Opus Dei am 5. März 1983 zugestellt. Die Bulle ist datiert vom 28. 11. 1982 (S. 433). 

III. Der Inhalt der Errichtungsbulle „ UT SIT validum "

Die verhältnismäßig umfangreiche Einleitung der Bulle faßt die Vorgeschichte und die Motive für die Gründung des Opus Dei zusammen. Aufgrund der Tatsache, daß das Opus Dei mit Hilfe der göttlichen Gnade so gewachsen sei, daß es nunmehr in zahlreichen Bistümern der ganzen Welt Fuß gefaßt habe und wirke, sei es notwendig gewesen, ihm eine rechtliche Gestalt zu geben, die seinen besonderen Wesensmerkmalen entspreche. Diese Bedingungen erfülle die Rechtsform der Personalprälatur, weil sie dem Wesen und Charisma des Opus Dei entspreche, das sich als ein aus Priestern und Laien, sowohl Männern als Frauen, bestehender apostolischer Organismus erweise. Dieser sei gegliedert und unteilbar zugleich, d. h. geprägt von einer unauflöslichen Einheit und Spiritualität, Zielsetzung, Leitung und Ausbildung (S. 444).

In den auf die allgemeinen Ausführungen über die Wesensmerkmale des Opus Dei folgenden sieben Artikeln, dem sog. „dispositiven Teil” der Apostolischen Konstitution, wird das Opus Dei als Personalprälatur internationalen Umfangs unter dem Namen „Vom Heiligen Kreuz und Opus Dei” oder abgekürzt „Opus Dei” errichtet. Gleichzeitig wird die Priesterliche Gesellschaft vom Heiligen Kreuz als der Prälatur zuinnerst verbundene Klerikervereinigung errichtet. Die weiteren sechs Abschnitte enthalten die übrigen Bestimmungen (S. 447 f.). Mit Datum vom 2. Mai 1983 wurde die Apostolische Konstitution Ut sit validum und die Erklärung Praelaturae personales in den Acta Apostolicae Sedis promulgiert.4

Den Abschluß des Textteiles des Werkes bildet eine detaillierte inhaltliche Darstellung der Rechtsstruktur des Opus Dei auf der Grundlage der Statuten der Prälatur, des sog. Codex iuris particularis Operis Dei (S. 450–506). Darin werden im einzelnen dargestellt: das Ziel der Prälatur, ihre strukturierte Einheit, ihre Gläubigen (deren geistliches Leben, Bildung, Apostolat), die Jurisdiktionsgewalt des Prälaten, sein Presbyterium, die Priesterliche Gesellschaft vom Heiligen Kreuz und schließlich die Einbettung der Prälatur Opus Dei in die Pastoralstruktur der Kirche.

In dem kurzen „Nachwort” (S. 507–509) betonen die Verfasser die große Bedeutung der Vorgänge und Rechtsakte der Jahre 1982 und 1983 für die Geschichte des Opus Dei.

Am Ende ist der Darstellung ein insgesamt 73 Schriftstücke enthaltendes „Verzeichnis der Dokumente” beigegeben, deren Kenntnis für die geschichtliche Entwicklung von entscheidender Bedeutung ist. Das Dokument Nr. 1 enthält das an den Bischof von Madrid-Alcalá gerichtete Gesuch Josemaria Escrivás vom 13. März 1935 mit der Bitte um Erlaubnis, im Studentenheim Ferrazstraße 50 in Madrid eine Kapelle einrichten zu dürfen. Unter den Dokumenten befinden sich sämtliche wichtigen Dekrete der Bischöfe in Spanien und später des Heiligen Stuhles, die den Werdegang des Opus Dei betreffen und die diesen Dekreten vorausgehenden Gesuche des Opus Dei. Die letzten Dokumente (Nr. 69) enthalten den lateinischen Wortlaut der Apostolischen Konstitution Ut sit validum Papst Johannes Pauls II. vom 28. November 1982 zur Errichtung des Opus Dei als Personalprälatur internationalen Geltungsbereichs; ferner (Nr. 70) das Ausführungsdekret des Apostolischen Nuntius in Italien, Romolo Carbone, vom 19. März 1983 zur Bulle Ut sit validum; (Nr. 71) das Protokoll vom 19. März 1983 über die Zeremonie der Ausführung der Bulle Ut sit validum;(Nr. 72) das an die Kongregation für die Bischöfe gerichtete Schreiben Alvaro del Portillos vom 5. April 1983 mit der Mitteilung über die Versendung der Statuten an die Bischöfe aller Diözesen, in denen die Prälatur Zentren errichtet hat; und schließlich (Nr. 73) die Statuten der Prälatur vom Heiligen Kreuz und Opus Dei, den Codex iuris particularis Operis Dei. Sämtliche Dokumente sind in ihrem jeweiligen spanischen, italienischen oder lateinischen Originalwortlaut abgedruckt. Es ist zu bedauern, daß die Statuten der Prälatur vom Heiligen Kreuz und Opus Dei nicht auch in deutscher Übersetzung beigegeben worden sind.

Die Rechtsfigur einer weltumspannenden Personalprälatur wie sie im Falle des Opus Dei verwirklicht worden ist, ist auf dem Gebiete des kanonischen Rechts eine Neuschöpfung. Bei verständiger und richtiger Beurteilung fügt sie sich harmonisch in die Verfassungsstruktur der katholischen Kirche ein. Die Entstehungsgeschichte des Opus Dei zeigt anschaulich und bestätigt zugleich die kirchenrechtsgeschichtliche Erfahrung, daß das kanonische Recht elastisch und die katholische Kirche durchaus in der Lage ist, im kirchlichen Verfassungsrecht neue Rechtsformen zu entwickeln, wenn das Wirken des Heiligen Geistes und pastorale Notwendigkeiten dies verlangen. Das Charisma schafft sich die ihm adäquate rechtliche Institution.

Wer sich über die Personalprälatur Opus Dei objektiv informieren, und erst recht, wer sich in Zukunft mit dem Anspruch auf Objektivität vorurteilsfrei über diese Personalprälatur in der Öffentlichkeit äußern will, wird dies nicht tun können, wenn er die hier in einer vorzüglichen deutschen Übersetzung vorliegende Entstehungsgeschichte des Opus Dei und die in diesem Bande publizierten Originaldokumente nicht zur Kenntnis nimmt.

 

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(1) Amadeo de Fuenmayor, Valentín Gómez-Iglesias, José Luis Illanes, Die Prälatur Opus Dei. Zur Rechtsgeschichte eines Charismas. Darstellung, Dokumente, Statuten (=El itinerario jurídico del Opus Dei. Historia y defensa de un carisma). Ins Deutsche übertragen von Rudolf Repgen. 4. Aufl., (= Ediciones Universidad de Navarra, 1990, dt.). Essen: Ludgerus Verlag 1994, XIII, 685 S. (= Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici, Beiheft 11). ISBN 3-87497-0198-8.

(2) Charisma und Institution. Die Geschichte der Entstehung der Personalprälatur Opus Dei, Forum Katholische Theologie, 11 (1995), S. 137–141.

(3) Wortlaut in: AAS 39 (1947), S. 114–124.

(4) Wortlaut in: AAS 75 (1983), S. 423–425 bzw. 464–468.