Audio des Prälaten: Die Nackten bekleiden und die Gefangenen besuchen

In diesem Monat denken wir über zwei leibliche Werke der Barmherzigkeit nach, die verschiedene Arten von Armut angehen: die Armut dessen, der keine Kleidung hat, und die des Menschen, der keine Freiheit hat.

Weitere Podcasts des Prälaten des Opus Dei über die Werke der Barmherzigkeit

1. Einleitung: die Werke der Barmherzigkeit (4.12.2015)

2. Die Kranken besuchen und sich um sie kümmern (16.1.2016)

3. Den Hungrigen zu essen und den Dürstenden zu trinken geben (20.2.2016)

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Den Nackten bekleiden heißt nicht nur, den Leib vor den Unbilden der Witterung schützen; es bedeutet ebenfalls, einem Menschen zu helfen, seine Würde zu bewahren. Die Bekleidung macht es jedem Mann und jeder Frau möglich, sich angemessen vor den Mitmenschen zu präsentieren und ist zudem häufig ein Widerschein der inneren Eleganz des Christen.

Wenn wir die Passion Christi betrachten, fällt ins Auge, dass Christus alle Ungerechtigkeit der Menschen erleidet. Niemand außer seiner Mutter und wenigen weiteren Personen hat während der Stunden am Kreuz eine mitleidige Geste für ihn übrig. Sie reißen ihm sogar die Kleider vom Leib, und verlosen sie anschließend unter den Soldaten. Wenn Jesus uns einlädt, die Nackten zu bekleiden, dann wusste er sehr wohl, dass ihm nicht einmal dieses Zeichen der Barmherzigkeit gewährt werden würde. Die Nacktheit Christi am Kreuz ist ein Bild der nicht vorhandenen Barmherzigkeit seitens der Menschen; ein Zeichen des Mangels an Liebe, der Kälte, mit der unsere Beleidigungen und unser Egoismus ihn umfangen.

Was unsere Vorfahren ihm auf dem Golgatha angetan haben, können wir in gewisser Weise heute an unseren Menschenbrüdern wieder gut machen. Es sind nicht wenige, selbst in den wohlhabenden Gesellschaften, die nicht die nötigen materiellen Mittel haben, um sich eine würdige Kleidung zu leisten oder wenigstens normal zu kleiden. Dieses Jubiläum bietet uns eine weitere Gelegenheit, um „unsere Augen für das Elend der Welt zu öffnen“ und auch in unserer Umgebung die bedürftigen Menschen zu entdecken. Es gibt soziale Einrichtungen – oder man kann sie schaffen –, mit denen es möglich ist, auf unterschiedlichen Wegen – mit unserem Geld oder unserer Zeit – dazu beizutragen, demjenigen, der sie braucht, eine würdige Bekleidung zu beschaffen.

Gleichzeitig kann das in einer Gesellschaft, die der Mode ein in manchen Fällen geradezu versklavendes Gewicht gibt, eine Gelegenheit sein, Werken der Nächstenliebe etwas Geld zukommen zu lassen, das man selbst spart, weil man auf Einkäufe aus Lust und Laune verzichtet und statt dessen die eigenen Kleidungsstücke besser pflegt. Es ist auch das Bemühen angebracht, mit einer einfachen und würdigen äußeren Erscheinung Beispiel zu geben.

Wir üben dieses Werk der Barmherzigkeit auch aus, wenn wir mit Liebe, Respekt und Geduld denen helfen, die aus Mangel an Ideen oder an Bildung durch ihre Art der Kleidung ihre eigene Würde verletzen. Ihnen vorzuschlagen, bestimmten Moden schlechten oder zweifelhaften Geschmacks nicht zu folgen, stellt eine Erziehungsaufgabe dar, die besonders den Eltern ihren Töchtern und Söhnen gegenüber zufällt, die aber jeder gegenüber seinen Freunden oder Freundinnen anpacken kann. Jeder von uns ist Sohn oder Tochter Gottes, und auch die Art sich zu kleiden ist Teil der Anerkenntnis der eigenen Würde. Machen wir erkenntlich, dass die Kleider und Anzüge einen Leib bedecken, der von einer geistigen Seele geprägt und dazu bestimmt ist, einst glorreich aufzuerstehen – das ist das wirklich Wichtige.

Ein weiteres eindeutiges Werk der Barmherzigkeit ist der Besuch bei den Gefangenen. Wieder wenden wir uns Christus zu, denn auch er, der Herr der Erde, war in der Nacht vor seiner Kreuzigung ein Gefangener. Welch bittere Stunden waren das für ihn! Man hat ihn eingesperrt und so der Freiheit beraubt, während er auf einen absolut ungerechten Prozess mit einer unangemessenen Verurteilung wartete. Dabei ergab sich die paradoxe Situation, dass jener von allen verachtete Gefangene im Begriff war, uns in einem Akt höchster Freiheit von der Sünde zu befreien, und der sich für diesen Dienst nicht zu schade war, weil er der Sohn Gottes und der Bruder aller Männer und Frauen ist.

Wer der Freiheit beraubt ist, braucht eine Stärkung in der Hoffnung. Daher haben die Päpste – wie auch Papst Franziskus – bei vielen Gelegenheiten Gefangene besucht und ihnen ermutigende Worte gesagt. Gleichzeitig luden sie sie ein, diesen Lebensabschnitt zu nutzen, um sich für Gott zu öffnen. „Wenn Jesus in das eigene Leben tritt – so sagte Papst Franziskus in einem Gefängnis in Bolivien – dann bleibt man nicht in seiner Vergangenheit stecken, sondern beginnt, die Gegenwart mit anderen Augen, mit neuer Hoffnung zu betrachten. Man beginnt, auch die eigene Person und die eigene Lebenswirklichkeit mit anderen Augen zu sehen. Das alles bleibt nicht auf das beschränkt, was passiert ist, sondern man ist fähig zu weinen und darin die Kraft zu finden, um wieder neu anzufangen.“

Die Gefangenen besuchen oder ihnen bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu helfen heißt, denen einen Dienst zu leisten, die gesellschaftlich ausgegrenzt worden sind. Welch wunderbare Arbeit können diejenigen leisten, die bei dieser Aufgabe helfen oder deren Beruf es ist! Besonders, wenn es sich um aus religiösen Gründen Gefangene handelt, wie es heute so häufig der Fall ist.

Danken wir auch an die, die nicht in Kerkern aus Zement eingesperrt sind, sondern hinter Gittern anderer Art, nämlich solche von Alkohol, Pornographie, Drogen oder anderen Lastern, die die Seele fesseln und in einen Abgrund versenken.

Bringen wir all diesen Menschen unsere Nähe, unser Verständnis, unseren Rat und vor allem unser Gebet. Erinnern wir sie daran, dass Gott niemanden aus seinen Händen fallen lässt, dass er keines seiner Kinder verlässt. Allen gibt er eine neue Chance, immer wieder, bis zum letzten Tag unseres Lebens.

Der hl. Josefmaria ging manchmal während der 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts zum Modellgefängnis von Madrid. Dort gab es ein paar junge Leute, um die er sich geistlich kümmerte, denn sie waren einzig und allein aus politischen Gründen eingesperrt worden. Obwohl in diesen Jahren jeder Priester tätlichen Angriffen ausgesetzt war, ging er in seiner Soutane hin, half ihnen zu beten und ermunterte sie, die Zeit gut zu nutzen, indem sie Sprachen lernten oder den Katechismus wiederholten. Bei diesem Werk der Barmherzigkeit forderte er sie sogar auf, Fußball zu spielen, und zwar zusammen mit Gefangenen, die ganz anders und meist antikatholisch eingestellt waren, damit durch die durch den Sport entstandene Freundschaft gegenseitige Achtung erwachsen konnte.

Der hl. Josefmaria wusste, dass die materiellen oder moralischen Kerker auch Orte der Begegnung mit Christus, Orte einer tiefgehenden Bekehrung, sein können. Daher legte er den Gläubigen der Prälatur ans Herz, diese Aufgabe nie zu vernachlässigen und sie aus christlichen Motiven und in brüderlichem Geist auszuüben. Wenn die Christen zu diesen Orten den Balsam des göttlichen Erbarmens bringen, können viele der Gefangenen die Erfahrung wahrer Befreiung machen, weil sie sich bewusst werden, Kind Gottes und daher bedingungslos geliebt zu sein und zudem unter dem Schutz unserer Mutter, der Jungfrau Maria, zu stehen.